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Das Abenteuer

  • Autorenbild: jasminatomc
    jasminatomc
  • 15. Mai 2020
  • 14 Min. Lesezeit

Ein Ozean. Überall rund um dich herum breitet sich eine riesige, eintönige Fläche aus, ein geräumiges Meer, weit, weit rund herum. In allen vier Himmelsrichtungen, wohin du dich auch drehst, wohin du dich auch umschaust, soweit dein Auge reicht, kein Land in Sicht, nicht mal die kleinste Spur von festem Land. Nur tiefblaues Meer, bis zum Horizont, wo die Meeresoberfläche den strahlend blauen Himmel küsst. Und das Meer ist ruhig, die, nur winzige Wellen streicheln die glatte Wasseroberfläche, der Wind schmeckt salzig und bläst das Schiff weiter und immer weiter. Eine sanfte, zarte, angenehm erfrischende Brise verfängt sich in breite, schneeweiße Segeln auf schwindelerregend hohen Mästen, du aber…

Du stehst am Deck, ganz vorne auf dem Schiffsbug. Du lehnst mit deinen Hüften am Schiffsbord aus hartem, glänzendem, dunkelbraunem Holz und umarmst mit ausgebreiteten Armen die endlos scheinende Welt vor dir, während der Wind deine Haare wild in der Luft herumwirbelt.

Hier, in der Unendlichkeit der Blautöne, die oben und unten fast grenzenlos ineinander verschmelzen, hört das Leben auf zu existieren und nur das Universum kreist um jede Körperzelle und erinnert sie an ihre unausweichliche Vergänglichkeit, der keine weltliche Materie entrinnen kann. Und doch taucht man hier als ein Teil des ewigen Lebenskreises in die Göttlichkeit der Natur ein.

Unter dir schlagen die Meereswellen an den Kiel, als das Schiff leise die ruhige Wasserfläche schneidet, du aber… du schwebst wie ein Vogel in den Luftströmungen, leicht wie eine Feder trägt dich der Wind unbekannten Ländern und Landschaften entgegen. Eine süße, ungeduldige Sehnsucht lässt dein erwartungsvolles Herz erzittern.

Und endlich.

Dort drüben, in weiter Ferne, tief am Horizont, kommt ein Stück Land zum Vorschein, zuerst nur wie eine Vorahnung, wie ein Schatten, wie eine Illusion, wie ein Spiel von Licht und Schatten, wie ein Sonnenstrahl. Doch das Bild weitet sich, das Bildnis wird greifbarer, es bekommt eine Form und verwandelt sich langsam in Wirklichkeit. Und bald füllt die Wirklichkeit das ganze Sichtfeld aus und nimmt fast den gesamten Horizont ein, eine mächtige Insel wird zum Ziel.

Mit goldenen Sonnenstrahlen gestreichelt schwimmt sie einsam und verlassen im breiten, endlosen Ozean und geheimnisvolle, versteckte Schönheiten warten auf dich, dass du sie entdeckst. Schon von weit sichtbar steigen strahlend weiße Klippenwände steil aus dem Meer in die Höhe und scharfe Felsenriffe ragen davor aus dem Meer wie strenge und grausame Wächter vor den Toren ins Paradies.

Doch hinter den Riffen breitet sich mehrere Kilometer lang ein schneeweißer Sandstrand aus, der weiter oben in eine Linie voller Palmen übergeht und dahinter beginnt eine unübersehbare Zone von Pflanzen, die sich im tiefen, dunklen Dschungel verlieren. Der Dschungel reicht weit bis ins Inselinnere hinein und das Gelände beginnt sich ganz leicht zu heben.

Der dichte, dunkelgrüne Wald hebt sich immer stärker, hebt sich immer steiler in eine flache Hügellandschaft, die Vegetation lichtet sich, bis nur noch wenige Büsche auf den Hängen beharren, auf weiten Almen werden sie durch sattgrüne, weiche Wiesen ausgetauscht. Und ganz oben, auf dem Gipfel des Hügels thront eine mächtige Festung, finster und geheimnisvoll baden die drohenden Mauern im goldenen Schein der glühenden Mittagssonne.

Dein Blick schweift aber noch weiter hinter die grüne, weiche Hügellandschaft, weiter ins Innere hindurch und dort, direkt hinter dem Bild der Festung, schimmern scharfe Umrisse der Berge, eine lange Gebirgskette mit faszinierenden, steilen Gipfeln, mit strahlend weißem Schnee bedeckt, die Berge schimmern in silbernen und grauen Farben wie unerreichbare, ewig entfernte Träume.

Das Schiff segelt in dieses einsame Paradies, das Wasser wird immer seichter. Es wird Zeit, die Sicherheit des Decks zu verlassen. Du steigst trittsicher in ein kleines Boot, der langsam auf die Wasseroberfläche runter sinkt. Schnell wird es von Wellen gepackt und der starke Meeresstrom droht, ihn wieder zurück an die offene See zu reißen, weg aus der geplanten Richtung, wo es den Launen des Wetters ausgeliefert wird, es wird dem Dreschen der Wellen und weit offenen Rachen der gierigen Haie ausgeliefert, die in den schwarzen Tiefen des Ozeans geduldig auf ihre Opfer lauern.

Doch eine kräftige Hand steuert mit harter Entschlossenheit und langjähriger Erfahrung das Boot auf den Strand zu, die mächtigen Riffe gleiten in einer sicheren Entfernung vorbei, ihre Höhe versetzt jeden noch so gleichgültigen Beobachter in Staunen, doch das Boot schlägt sich mühelos an den scharfen Gefahren hindurch und endlich strandet es im flachen Sand. Das warme Wasser fließt gleichmäßig in leichten, schäumenden Wellen über den feinen, weißen Sand.

Du steigst von der Holzbank ins niedrige, warme Meerwasser und die sanften Wellen umstreichen weich und warm deine bloßen Füße. Deine Zehen sinken leicht unter die feinen, weichen Sandkörner und der Küstenstreifen breitet sich links und rechts weit hinaus, bis er an jedem Ende des Ufers unter riesigen, runden, in kleine Gruppen angehäuften Felsen verschwindet.

Langsam gehst du auf dem von der Sonne aufgeheiztem Sand und deine Füße hinterlassen Spuren in der feuchten Sandunterlage, die gerade kurz davor von einer warmen, schaumigen Welle übergossen wurde. Danach zog sich die winzige Welle wieder zurück in die Tiefen des Meeres, um neue Kraft für einen neuen Ansprung auf das Ufer der Insel zu sammeln. Du verlässt die Uferlinie und richtest dich ins Innere zu den hohen Palmen, deren große, lange Blätter sich weich in den sanften Windstößen biegen. Der Wind duftet köstlich nach salzigem Wasser und Muscheln, doch hier oben vermischt er sich mit dem Duft nach Wald, nach feuchtem Laub, nach Baumharz, nach Land. Der Geruch schwebt in der warmen Luft und verzaubert deine Sinne.

Plötzlich taucht noch ein schwacher Duft auf, der kommt dir merkwürdig bekannt vor. Du hebst den Blick und über deinem Kopf kucken runde, riesige Kokosnüsse schüchtern unter den Palmenblättern hervor. Viele verstecken sich auch zwischen den Blättern und geizen mit ihrem verführerischen Geruch nach Kokosmilch. Aber dem Wind entkommen sie doch nicht und die sanfte Brise weht den leckeren Duft in der ganzen Umgebung herum und vermischt den Kokosduft mit anderen Gerüchen, die sich aus weiter Ferne heranschleichen. Der Duft nach Bananen, säuerlichen Zitronen und süßen Ananas tanzt um dich herum und lässt dich das ganze Reichtum des dichten Regenwaldes vor dir nur annähernd erahnen.

Eine sanfte Hand streckt sich zu dir und hält dir eine zur Hälfte aufgeschnittene Kokosnuss entgegen. Das weiße Fleisch glänzt in der Sonne und umarmt verführerisch duftendes Wasser der exotischen Frucht. Du kannst nicht widerstehen. Dankend nimmst du die Nusshälfte an und lehnst die braune Schale an deine Lippen. Die süße Flüssigkeit füllt dir den Mund und erfrischt deine von der Hitze trockenen Lippen. Der köstliche Geschmack nach Kokos hüllt dich von innen und von außen ein und lässt dich wie auf Wolken schweben. Es fühlt sich wie das pure Geschenk des Himmels an.

Voller Energie und Neugier bist du bereit, diesen Himmel auf Erden weiter zu erkunden, also schlägst du mutig den Weg in die dichte, unübersichtliche Vegetation ein. Schon nach ein paar Schritten erkennst du vor deinen Füßen einen schmalen, kaum sichtbaren Pfad, der sich kurvenreich um die Baumstämme der tropischen Pflanzen schlängelt und allem Anschein nach ins tiefste, dunkle Dickicht führt, wo sich sogar die Sonnenstrahlen nur mit größter Mühe und Anstrengung durch die verwachsenen Baumkronen durchkämpfen.

Doch auch das kann dich nicht von deinen Absichten abschrecken, mit nackten Armen schiebst du dir die dünnen Zweige aus dem Weg und folgst hartnäckig dem vor ewigen Zeiten ausgetretenen Pfad ins leere Nichts.

Auf einmal aber lichtet sich der Wald und die helle, grelle Sonne erblindet dich. Mit der Hand auf der Stirn erblickst du, dass die hohen Bäume hier niedrigen Büschen ausweichen. Die Büsche wachsen auch lichter und zu deiner Begeisterung biegen sich die Zweige der Büsche unter knallroten und lilafarbenen Beeren. Du streckst hungrig die Hand aus und schon liegt ein ganzer Haufen zuckersüß duftender Erdbeeren und Himbeeren auf deinen Fingern. Der Duft steigt dir in die Nase und unfreiwillig überschwemmen dich zärtliche Erinnerungen an runde, tiefe Schüsseln aus deinen jüngsten Kinderjahren, die bis zum Rand mit kleinen, roten Erdbeeren und lilaroten Himbeeren gefüllt waren und sich ein kleiner Klaps schneeweißer, süßer, fluffiger Sahne über die runden, betäubend riechenden Beeren ergoss.

Du stopfst dir in sehnlicher Erwartung eine Handvoll Beeren in den Mund und sie zerfließen weich in puren Fruchtzucker dahin und lassen dich dahinschmelzen vor Genuss. Du bewegst dich leicht von einem Busch zum anderen und kannst die Finger nicht mehr von dem fruchtigen Beerenreichtum lassen. Der rote und lila Saft tropft von deinen Fingern, die schon ganz klebrig von dem zuckerhaltigen Saft sind.

Endlich hast du dir den Bauch mit den leckeren Früchten vollgeschlagen und noch selig von dem zuckersüßen Geschmack steigst du von der schwarzen Erde auf die weiche, grüne Wiese. Der schmale, dir fast heimisch gewordene Pfad geht jetzt etwas steiler in einen breiteren Weg über und immer öfter häufen sich niedrige, graue Felsen in der Gegend herum.

Der Weg wird jetzt steiniger, die weiche, schwarze Erde rutscht den flachen Hang hinunter und deckt dabei den nackten, glatten Fels frei. Die Felsen glühen heiß in der Mittagssonne und du schreitest entschlossen auf eine Baumgruppe zu, wo dich ein sicherer Schatten erwartet. Bald genießt du schon die tröstende Kühle der schattigen Baumkronen und auf einmal nimmst du ein neues Geräusch wahr.

Ein ganz leises Rauschen dringt aus der Schlucht in der Nähe hinauf. Du trittst an den Rand des felsigen Weges und blickst nach unten, rein in die Tiefe, wo ein kleiner Bach über die runden Steine hüpft. Ein paar Meter weiter führt dein treuer Weg direkt zum Ufer des Bachs, also verlierst du keine Zeit mehr und steigst hinunter zum spielenden Wasser. Du lässt deine bloßen Füße in die Kühle des Baches eintauchen und stehst gleich danach in der Mitte des Flusses, wo dir das erfrischende Wasser von den Bergen die Fußgelenke umschmeichelt. Das kristallklare Gebirgswasser spiegelt die Oberfläche des Gesteins, auf dem es fließt, und die Steine spielen im Sonnenlicht in unzähligen bunten Farben. In der Wasseroberfläche glänzt der blaue Himmel und am Rand spiegeln sich die Baumgipfel im Bach. Die Sonnenstrahlen brechen in den kristallenen Wassertropfen und malen einen Regenbogen direkt vor deinen Augen.

Du wanderst durchs kühle Wasser zwischen den Felsen und Bäumen und das Rauschen wird immer lauter. Die Felsen werden immer enger aufgebaut und du kannst dich nur noch schwer durchquetschen, die hohen Baumstämme verdecken dir den Blick den Strom abwärts. Also steigst du wieder zum Ufer hinauf und kletterst auf den Felsen. Jetzt weißt du, warum das Rauschen lauter wurde. Nur ein paar Meter vor dir, unter dem Felsen, wo du stehst, verschwindet der felsige Boden ins Nichts. Dein Felsen scheint in der Luft zu schweben und von hier oben siehst du auch warum. Die Felswand fällt auf einmal fast senkrecht nach unten in die Tiefe und der Bach stürzt über den Rand und verliert sich in einem dicken Nebel aus Wasserschaum in einem atemberaubenden, tiefschwarzen, natürlichen Pool. Ein märchenhafter Wasserfall donnert in deinen Ohren, während du atemlos die Kraft der Natur bewunderst. Der Nebel aus weißen Tropfen umhüllt dich mit kühlen Händen, während dein Blick über die wellende Fläche des Pools streift und am anderen Ende gegen neue Felsen kracht. Der kraftvolle Strom hat sich auch dort schon den Weg freigefressen und fließt da aus dem kleinen See weiter hinunter ins Landesinnere, wo er sich wieder in dem dichten grünen Regenwald verliert.

Vor deinen Augen öffnet sich ein Tal, weit, bis das Auge reicht, und in der Mitte des Tals hebt sich der grüne Hügel, wo die mächtige Festung thront. In dieser Höhe starrst du der Festung direkt ins Antlitz. Unter euch liegen schläfrig grasbedeckte Hänge und mit farbfrohen Blumen geschmückte Wiesen. Der Fluss umkreist in einem breiten Bogen den niedrigen Hügel und frisst sich ihren Weg in enge Schluchten auf der linken Seite des Tals.

Deine Aufmerksamkeit wird wieder auf den kristallklaren Pool unter deinen Füßen gelenkt. Von der schäumenden Wasseroberfläche trennen dich ungefähr zehn Meter leere Luft, die nur von der Anziehungskraft bestimmt wird. Das Wasser glänzt in bunten Regenbogenfarben, die in der schwarzen Tiefe ertrinken und am Rand die Dunkelheit von Dunkelblau ins Smaragdgrün ineinanderfließt. Kannst du der Versuchung widerstehen? Mach dir lieber keine Mühe.

Du hast dich schon längst entschieden. Du trittst ein paar Schritte auf dem Felsen zurück, holst zuerst tief Luft und atmest nach einigen Sekunden mit einem lauten Seufzer aus. Nur Mut, du schaffst das. Deine Füße springen in fröhlicher Erregung und du rennst fast atemlos auf den Rand des Felsens zu, bis der Boden unter deinen Füßen verschwindet, du die feste Sicherheit des harten Felsens verlässt und weit ins Leere springst. Die Anziehungskraft der Erde packt dich mit eisernem Griff und zieht dich mit voller Wucht in den dunklen Abgrund. Wie ein Vogel gleitest du in den Luftströmungen, den Wind spürst du nicht mehr, um dich herum wellt nur noch die warme Waldluft, die immer wieder mit kühlem Wassernebel in Streit gerät und dich in weichen, weißen Dampf hüllt. Du näherst dich immer schneller der Wasseroberfläche, bis du mit einem lauten Platsch rein krachst und langsam und geborgen in die dunklen Tiefen versinkst. Vom ohrenbetäubenden Rauschen ist hier keine Spur mehr zu hören, stattdessen herrscht hier unten himmlische Stille. Die erfrischende Kälte umfließt deine von der glühenden Sonne gebrannte Haut und beruhigt dein durch das Adrenalin wild pochendes Herz. Deine Glieder zittern noch immer von dem schwindelerregenden Sprung, als du mit starken Tritten der Beine wieder nach oben zur Wasseroberfläche steigst. Mit dem Kopf brichst du ins Freie und atmest ganz tief die kühle, frische Luft des schattigen Pools ein, purer Sauerstoff füllt dir die Lunge und einige goldene, warme Sonnenstrahlen streicheln deine nassen Haare und die Wassertropfen auf deinen roten Wangen.

Du schwimmst langsam zum Ufer, wo das Wasser ihren Weg als ein Fluss fortsetzt und fast mit Nostalgie den kleinen, verträumten See verlässt. Du sitzt kurz auf der weichen, grünen Wiese, die nasse Kleidung klebt an deinen Gliedern und aus deinen Haarsträhnen fließen kleine Bäche Süßwasser an deinen Schultern und deinen Rücken hinunter. Doch du verlierst keine Zeit mehr und setzt deinen Weg in den lichten Wald fort.

Der Regenwald lichtet sich immer weiter, die Baumkronen lassen immer mehr Sonnenstrahlen durch, die mit ihrer Wärme schnell beginnen, deine Kleidung zu trocknen. Bald endet der Wald und du stehst am Rande einer großen, sattgrünen Wiese, voller bunter Blumen und niedriger Büsche mit hellgrünen Blättern und grauen Dornen. Entschlossen trittst du in Gras und deine Fußsohlen sinken bis zu den Fußgelenken zwischen die Grashelme. Es fühlt sich an, als ob du auf einem dicken, samtweichen Teppich gehst, von der heißen Sonne vorgewärmt und schon bald sind sowohl deine Haare als auch deine Kleidung ganz trocken.

Du näherst dich jetzt dem flachen Hang des Hügels und die Festung lockt dich mit einem kaum hörbaren Ruf einer Meeressirene, sie zu begrüßen und vollkommen ihrem Zauber zu verfallen. Doch leider musst du dich vom treuen Strom des Flusses trennen, der dich hingebungsvoll auf deinem Weg begleitet und dich inspiriert hat, auf dem Weg durch die Naturwunder und ergänzte das wundersame Bildnis der einzigartigen Naturlandschaft, durch die du müßiggängerisch schreitest.

Der Fluss biegt in einer scharfen Linkskurve ab und die Wassertropfen hüpfen weiterhin spielerisch über die runden, farbvollen Steine im Flussbett und glänzen wie kleine Diamanten im Sonnenlicht, wie kleine Juwelen, die den Regenbogen für einen vergänglichen Moment in ihrem tiefsten inneren Kern eingeschlossen haben und ihm die Kraft schenken, in ihrer vollen Schönheit zu erstrahlen.

So fließt das kristallklare Gewässer weiter, immer weiter, wunderbar und einsam in ihrer atemberaubenden Schönheit. Du aber folgst dem schmalen Weg den Hügel hinauf und unter dir breitet sich immer weiter der Ausblick an die Landschaft, die du bereits hinter dir gelassen hast. Die Wiese reicht bis zur anderen Seite des Tals und bietet eine bunte Palette von kleinen Blüten. Am Rande des Tals beginnt der dunkelgrüne Wald mit dichten Baumkronen, die den Blick auf die Unendlichkeit dahinter verschleiern. Doch dein Ziel erstreckt sich jetzt direkt über deinem Kopf.

Am Gipfel des Hügels prahlt die Festung, ein uneinnehmbares, stolzes Gebäude, die mächtigen Mauern in mehreren Stockwerken schauen verächtlich auf dich hinunter, auf dich, ein winziges, sterbliches Wesen, das sich leichtsinnig traut, der Königin auf ihrem Thron über dem Lande, in die eiskalten, von den Stürmen der Jahrhunderte gekennzeichneten Augen, zu schauen. Dunkle, glatte Mauern werden an jeder Seite des Baus von hohen, dicken Türmen getragen und das ganze Gebäude strahlt eine gruselige Macht aus und in dem kühlen Schatten fliegt dir eine Gänsehaut über die bloßen Arme. Die glatte Fläche der Mauern sonnt sich in der kuscheligen Wärme des Sommers, aber die kleinen Fenster und Nischen lassen nur flüchtig erahnen, welche finsteren Geheimnisse das Burginnere in sich birgt, wohin niemals auch nur ein einziger Sonnenstrahl durchdringt und die tiefen Räume nie irgendwas von der äußeren Pracht der Landschaft erfahren können.

So hält die Festung ihre Stellung, wie eine weit entfernte Welt in ihrer Einsamkeit, für ewig fremd und abgeschieden mitten im Paradies und verbirgt in ihren Tiefen die streng geheimen Geschichten der vergangenen Epochen, die noch immer lebendigen Aufzeichnungen der Vergangenheit. Als ein kräftiger Wächter der Legenden trotzt sie den Einflüssen der Gegenwart und dem wilden Efeu, der sich langsam, aber hartnäckig den Weg durch die kleinen Risse in den Ziegeln erkämpft und seine Zweige mit den saftigen, grünen Blättern überall um die Steine herumwickelt. Die Festung braucht heutzutage keine Feinde mehr abwehren, daher ist jetzt der Efeu zusammen mit dem feuchten Schimmel ihr größter Feind.

Du gehst um die Mauern herum, die Steine und Felsen an deinem Weg entlang sind vom Moos und trockener Heide bedeckt und die Landschaft hier oben wirkt wild und verlassen, aber trotzdem oder gerade deswegen strahlt sie eine ganz besondere Verlockung aus. Die Hitze hier oben ist fast unerträglich, es gibt keinen tröstend erfrischenden Schatten der Bäume mehr und die stark erhitzten Felsen geben noch mehr Glut in die Umgebung ab. Hier oben zeigt die Sonne seine volle Kraft.

Die flache Ebene hier oben am Gipfel ist mit einem niedrigen, smaragdgrünen Rasen bedeckt und auf der anderen Seite des Plateaus fallen die Hänge des Hügels steil in ein neues Tal, das ein anderer Fluss ausgehöhlt hat, ein wilder Fluss, der wie eine Sintflut durch tiefe, dunkle Schluchten strömt und majestätische Canyons im Gelände hinterlässt. Ein lautes Echo hallt das Donnern ihres Stromes durchs ganze Tal, doch auf deiner linken Seite bricht der Fluss aus einer Schlucht ins Freie und sammelt dort Unmengen an Sand, Steinen, Ton und Flussmaterial an, viel breiter schlängelt sich da der Wasserstrom durch die Wiesen, bis er sich kurz vor dem Horizont auf der linken Seite mit dem Fluss vereint, der um deinen Hügel herum in die gleiche Richtung floss.

Du möchtest noch weiterhin den unglaublichen Ausblick ins Landesinnere genießen, doch die Festung hinter dir lockt dich mit ihrer verführerischen Stimme.

Du bleibst vor einem hohen, mächtigen Tor aus massivem, dunklem Holz stehen und streichst mit deinen Fingern zart über die glatte, kühle Wand neben der Tür. Du wartest, ob dir die stolzen Mauern ihre Geheimnisse zuflüstern, doch es bleibt still und nichts passiert. Also nimmst du deinen Mut zusammen und schiebst die schwere Tür aus Holz nach vorne. Die Türbänder aus längst stark verrostetem Metall quietschen gruselig, als sich die Tür weit und einladend öffnet. Das Knarren des feuchten Holzes hallt zwischen den leeren Wänden im dunklen Inneren.

Ein heller Sonnenstrahl fällt durch die Tür und du schreitest entschlossen in die feuchte, nach Schimmel riechende Dunkelheit. Deine Augen brauchen ein paar Minuten, um sich an die Finsternis zu gewöhnen und dann merkst du, dass durch kleine Fenster schwache Sonnenstrahlen in engen Lichtströmen wenigstens ein bisschen Helligkeit in den hohen Raum liefern. Der Raum ist vollkommen leer und verlassen, nur auf deiner rechten Seite befindet sich ein verwickeltes, steinernes Stiegenhaus, das in den Seitenturm führt und von dort hinauf aufs Dach.

Deine Schritte hinterlassen ein lautes Echo in den massiven Mauern, als du dich den Stiegen näherst und langsam, Schritt für Schritt, immer höher hinauf in den mächtigen, runden Turm steigst. Immer mehr Licht strömt von oben auf die bröckelnden Stiegen und auf einmal blenden dich die Strahlen vom direkten Sonnenlicht. Du hast die Spitze des Turms erreicht und die freundliche Sonne empfängt dich wieder mit ihrer kuscheligen Wärme.

Die Berge scheinen hier in der Reichweite deiner Hand zu sein, als ob du sie mit den Fingerspitzen berühren könntest. Auf der anderen Seite des Turms zieht sich der Streifen der dunkelgrünen Regenwälder kilometerweit dahin und hinter dem Streifen geht das Grün ins Tiefblau über, wo das Meer in die Unendlichkeit des Horizonts verschwindet, bis es mit der hellblauen Fläche des Himmels verschmilzt. Du drehst dich wieder zum schwindelerregenden Gipfeln des Gebirges um, die durch einen mächtigen Canyon durchbrochen werden, in dem ein dröhnender Wasserstrom wütet.

Plötzlich spürst du, wie das uralte Geheimnis der Festung in deine Glieder fließt und deinen Körper mit einer noch nie anwesenden Kraft füllt. Tapfer näherst du dich der Wand und ziehst dich auf die Mauer hinauf. Du erhebst dich, bis du vollkommen aufrecht stehst und blickst hinunter, wo die Mauern auf den steilen Felsen liegen und der Fels tief in den Abgrund des Hügels fällt. Im steilen Tal unter dir strömt ein wilder Fluss in zahlreichen weichen Kurven dahin. Du spürst deinen Herzschlag in deinen Adern rasen, dein Blut füllt sich mit Adrenalin, als du deine Arme weit vom Oberkörper weg ausbreitest und ganz tief die sauerstoffreiche Luft in deine Lunge einatmest. Du hebst den Kopf und blickst weit über die Berggipfel hinaus, bis zum Punkt, wo die blaue Linie des Himmels den Erdhorizont küsst.

Du lehnst dich nach vorne, die ganze Todesangst streift dir aus dem Körper und dein Kopf fühlt sich vollkommen leer an. Nur dein Herz schreit das Lied der puren Lebensfreude. Und schon fällst du.

Du schwebst für einen winzigen Teil der Sekunde in der Luft, deine Füße lösen sich von der festen Mauer, die schwindelerregende Tiefe, mehrere hundert Meter unter dir, erwartet schon sehnsüchtig deine Rückkehr. Rückkehr in des liebenden Mutters Schoß, dem du einmal entrissen wurdest.

Das Gewicht deines eigenen Körpers zieht dich nach unten, wo dich die Anziehungskraft der Mutter Erde kräftig umarmt und dich in eine warme, sichere Umarmung schließt. Du fliegst unaufhaltbar mit dem Kopf nach unten, in die ewige Leere, ins unendliche Nichts… da kommt ein heißer Windstoß vorbei und du fühlst, wie dich ein heißer Wirbelwind erfasst und dich in der Luft über dem Tal auffängt. Du fliegst jetzt gefangen im Windstrom über dem Canyon hinweg und über den grünen Hügeln mit ihren sanften Rundungen, über dem blauen Fluss und über den weiten Wiesen. Du schwebst am Himmel, unter den warmen Sonnenstrahlen und segelst wie ein Vogel über den schneebedeckten Gipfeln der scheinbar endlos weiten Gebirgskette, über den goldenen Feldern und über grünen Tälern mit romantischen kleinen Bächen und roten Blüten.

Du fliegst noch höher hinauf, zwischen weiße, flauschige Wölkchen, die dich warm und samtweich in ihre Mitte aufnehmen und du dich auf weichen Wolkenpolstern niederlässt. Du liegst warm und geborgen auf einer weißen Wolke und die leichte Windbrise streichelt zärtlich deine Haut. Du weißt, du bist hier sicher. Du bist angekommen. Du bist zurückgekehrt in den Schoß der üerall anwesenden Mutter. Und sie begrüßt dich voller Hingabe und Liebe wieder zurück daheim. Friedvoll schläfst du ein, in den Armen der Mutter bist du heimgekehrt.





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