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Vergessenheit im Schnee

  • Autorenbild: jasminatomc
    jasminatomc
  • 31. Mai 2020
  • 6 Min. Lesezeit

Eine Fantasiereise in der Kälte



Wilde, lautstarke Musik dröhnte aus den Lautsprechern, so dass die Scheiben auf den Fenstern eines kleinen Ferienhauses, mitten auf dem mit frischem Schnee bedeckten Hügel, zitterten. Es war eine frierende, kristallklare Nacht in den Bergen. Es war die Silvesternacht.

Eine Gruppe junger Studenten sprang unermüdlich zu den schnellen Tanzmelodien herum. Einige von ihnen rauchten, deshalb war das ganze Zimmer in einen grauen, fast undurchsichtigen Rauchvorhang gehüllt. In den Händen hielten sie überfüllte Gläser mit unterschiedlichen alkoholischen Getränken und verschiedenen alkoholischen Mischungen, die ihnen die Sinne und Gedanken beträchtlich betäubten und einschränkten. Alle waren schon sternhagelvoll, einige sogar am Rande der Ohnmacht.

Auf einmal geht die Tür des Kellers weit auf und ein Mädchen mit langen, dunklen Haaren tritt ins Freie. Sie war genau wie alle anderen vom Tanz und Alkohol erhitzt, ihre Wangen glühten rot, ihre Haare klebten an ihre Stirn. Sie wickelte sich enger in ihre warme Winterjacke und zog sich die kuschelige Mütze tiefer auf die Stirn. So stieg sie mutig in die gnadenlose, frostige Kälte der klaren Winternacht.

Sie atmete tief die frische, eiskalte Luft in die verrauchte Lunge ein und schaute verträumt in den klaren, mit Milliarden Sternen bestreuten, tiefschwarzen Himmel.

Entschlossen sank sie mit den Füßen, die in hohen Stiefeln steckten, in den tiefen Schnee und ging zu einem einsamen, vergessenen Platz hinter dem Haus, wo sie übermüdet stehen blieb. Hier draußen konnte sie niemand sehen.

Genug! Sie hatte endgültig genug.

Genug von der wilden Party, genug vom Rumtoben, genug von zu lauter Musik, dass die Ohren schmerzen. Der Zigarettenrauch griff ihre Lunge an und der Alkohol zerstörte ihre Leber und ihr Gehirn. Sie konnte fast fühlen, wie ihre Körperzellen zerfallen und geschädigt absterben.

Plötzlich spürte sie eine enorme Erschöpfung, der sie nicht mehr widerstehen konnte. Eine Erschöpfung des Lebens und des Leidens. Sie wollte sich nicht mehr wehren, gegen die starke Macht der Erschöpfung. Sie legte sich langsam auf den Rücken auf die weiche, weiße Schneedecke. Sie atmete erleichtert aus, sofort fühlte sie, wie das Gewicht aus ihren müden Gliedern wich und ihr gesamter Körper fühlte sich deutlich leichter an.

Über ihrem Kopf breitete sich der unendliche, schwarze, samte Nachtvorhang aus mit kleinen, silbernen Inseln der strahlenden Sterne, direkt durch die Mitte des Himmels beugte sich der atemberaubende Bogen der Milchstraße. Der runde Vollmond goss sein silbernes Mondlicht über die Winteridylle des mit Schnee bedeckten Tals, zwischen niedrigen, flachen Hügeln.

Das Mädchen bewunderte in seliger Ruhe und Stille diesen unglaublichen Naturzauber. Der Alkohol rann durch ihre Blutadern und dämpfte ihre Sinne, daher spürte sie nicht, wie die Eiseskälte durch ihre Kleidung bohrte und sich bis zu ihren Knochen hereinschlich. Sie zitterte nur kurz vor Frost, dann aber wurden ihre Gefühle taub, die Kälte löste sich auf und eine angenehme, beruhigende Wärme ersetzte das Kältegefühl in ihrem Körper. Die kuschelige Wärme ergoss sich in ihren Gliedern wie heiße Schokolade dämpfend von den gierigen Lippen durch die Speiseröhre bis in den hungrigen Bauch.

Sie fühlte, wie sich die Entfernung zwischen ihr und der unendlichen schwarzen Leere über ihr ein bisschen verringert hat und plötzlich löste sie sich von der schneeweißen Unterlage und schwebte über dem mit Mondlicht beschienenen Tal.

Frei wie ein Vogel flog sie zwischen die hellen Sterne, in eine weite, endlose Landschaft, überfüllt mit Glanz und schönsten Träumen.

In der dunklen Ewigkeit, zwischen den strahlenden Sternen, lagen grüne Täler, durch die faul kristallklare Bäche flossen, das Rauschen des blaugrünen Wassers mischte sich mit der romantischen Melodie der Unendlichkeit. In der Ferne hinter den niedrigen Hügeln und Tälern erhoben sich verschneite Berggipfel zum samtschwarzen Himmel und glänzten in dem zauberhaften Mondlicht in hellbläulichen und blausilbernen Tönen.

Eine unsichtbare Kraft erhob das Mädchen über die Hügel, über die romantische Idylle der tiefblauen Seen und donnernden Wasserfällen, die wie silberne Vorhänge von den Felsen in geheimnisvolle, rauchende Nebelschwaden hinunterfielen.

Nach einem kurzen Flug ließ sie sich vor einen Palast aus purem Kristall hinunter, die mächtigen Säulen und eine runde Kuppel waren aus weißem und rosa Marmor gebaut. Der Palast war von einer Wiese mit unzähligen bunten Blumen umgeben, die Fassade war mit goldenen Verzierungen geschmückt.

Aus den dünnen, grünen Gräsern mitten in der Wiese stieg mit weit ausgebreiteten Flügeln ein strahlend weißes Einhorn empor, ein edles Geschöpf mit verträumten, himmelblauen Augen. Es näherte sich langsam dem Mädchen und strich sie ganz sanft mit dem Kopf an der Wange. Vollkommen bezaubert von seiner Schönheit und Zärtlichkeit folge sie ihm durch ein riesiges Tor in den Palast.

Sie gingen gemeinsam durch einen breiten Gang, an hohen, eleganten Porzellanfiguren vorbei, bis sie sich in einem beeindruckenden Saal befanden, der mit einem geheimnisvollen Licht in überfließenden Farben gefüllt war. Der Boden war mit einem großen, bunten persischen Teppich bedeckt und der ganze Raum war mit alten, orientalischen Möbeln ausgestattet, auf dem riesigen Bett und auf dem gesamten Teppich verteilt lagen seidene Kissen.

Das Mädchen folgte dem Einhorn gehorsam in den nächsten Raum, wo sie sich von dem unerwarteten Glanz die Augen mit der Hand zudecken musste. Auf den Wänden hingen glänzende Schwerter und polierte Schilder, Spiegel aus strahlendem Glas und Teller aus purem Gold. In großen, reich verzierten Holztruhen häuften sich Goldmünzen, Silbermünzen, edle Ketten, Ringe, unzählige Juwelen wie Rubine, Smaragde, Perlen, dazu noch wertvolle Diademe und Kronen, geschmückt mit bunten Juwelen. Und für diesen einen kurzen Moment des Staunens gehörte der ganze Reichtum ihr.

Das Einhorn führte sie wieder aus dem Raum sie stiegen auf einer mächtigen Stiege aus Marmor, auf einem roten, weichen Teppich hinunter. Von der letzten Treppe stieg sie auf den Boden, doch auf einmal verschwand der feste Halt und eine schwarze Leere öffnete sich unter ihren Füßen. Doch sie stürzte nicht tief hinab, sondern sank in eine warme, festere Masse, dass sie mitten im dunklen, leeren Raum schwebte und sich sicher und geborgen fühlte. Um sie herum kreisten Engel, kleine Kinder mit süßen, runden Gesichtern und unschuldigen blauen Augen und goldenen Locken, sie trugen weiße Kleidchen, und schlossen die Hände im seligen Gebet, als das wandernde Mädchen vorbeiflog.

Mitten in der zaubervollen Leere des Universums näherte sich das Einhorn wieder dem Mädchen, sein Einhorn erstrahlte in erblindendem Licht und als sie wieder die Augen öffnen konnte, stand ER vor ihr. Ein Bildnis wie ein griechischer Gott, großgewachsen und gut aussehend, seine sanfte Schönheit bezauberte sie sofort. Hellbraune Locken fielen ihm auf die Stirn und er beobachtete sie zärtlich mit himmelsblauen Augen. Sie strahlten in warmen, blauen Tönen und waren von langen, schwarzen Wimpern umrahmt. Auf seinen vollen, roten Lippen tanzte ein beruhigendes, Vertrauen weckendes Lächeln und ein weißer Umhang umschloss seine muskulöse Schultern und die schmalen Hüften. Unter dem Umhang schauten schön geformte, gebräunte Beine hervor. Er streckte ihr seine Hand entgegen.

Mit einem tiefen Atemzug hob sie ihre Hand und legte sie vorsichtig in seine. Seine warmen Finger umschlossen fest und sanft ihre Hand und eine liebliche Melodie ertönte aus allen Richtungen. Die Engel sangen im Chor und zärtliche Töne einer Harfe füllten das Universum um beide herum. Die himmlische Musik drang tief in ihr Herz und lies ihre verletzliche Seele in süßem Erwarten erzittern. Ein warmer Wirbelwind wehte um das Paar, das Mädchen fühlte sich noch leichter. Dann sah sie sich um und schwebte plötzlich in einem langen Kleid aus weichem, schneeweißem Satin da, auf ihren gelösten, langen Haaren ruhte ein Kranz aus köstlich duftendem, weißem Jasmin.

SEINE Hand hielt sie sicher und fest, als er sich zu ihr drehte und noch ihre andere Hand in seine nahm und dem Mädchen tief und liebevoll in die Augen schaute. Sein Blick füllte sie mit Ruhe und vollkommener Hingabe. Er beugte sich zu ihr runter und berührte mit seinen sanften Lippen ganz leicht ihre Stirn. Ihr Herz war sofort ganz friedlich und voller Vertrauen ins Universum und in das Schicksal.

Dann umarmte er sie, schloss sie warm und fest ein seinen starken Armen ein und sie wickelte sich ergeben in seine schicksalhafte Umarmung. Das Universum um sie herum hörte auf zu existieren, die Sterne drehten sich wie in einem Sturm in allen Richtungen herum und das Paar sank in seidene Unendlichkeit. Das Herz des Mädchens füllte sich mit purer Glückseligkeit und ewigem Frieden.

Und endlich wusste sie es. Das war ihre Heimat, sie ist endlich zurückgekehrt, dorthin wo sie hingehörte, hier war sie sicher und geborgen, für immer glücklich und mit der grenzenlosen Liebe vereint. Ohne Reue gab sie sich der schwarzen Leere und der süßen Vergessenheit hin. Alle Gefühle haben sich im warmen Wirbelwind in den Sternenstaub aufgelöst, in den festen Armen des Engels atmete sie den letzten Hauch aus. Ihr Herz schlug noch das allerletzte Mal.


Ihre Freunde fanden sie in der Früh, alle verkatert von der wilden Silvesternacht. Die Sonne schien hell und freundlich auf die strahlende Schneedecke.

Sie lag erfroren im Schnee. Sie starb mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen.




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